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Pressemitteilung 139/2002 der Bezirksregierung Düsseldorf vom 06.04.2002 :
Bezirksregierung nimmt Unterschriftenliste entgegen Sperrfrist: 06.04.2002, 15.30 Uhr
Bei einer Demonstration des Chaos Computer Clubs (CCC) heute in
Düsseldorf gegen die Sperrung rechtsextremistischer Seiten im
Internet hat die Düsseldorfer Bezirksregierung eine
Unterschriftenliste entgegengenommen. Im Februar 2002 hat die Düsseldorfer Behörde als Aufsichtsbehörde
nach dem Mediendienste -Staatsvertrag und dem Teledienstgesetz die
Zugangs-(Access-)Provider in Nordrhein -Westfalen zur Sperrung von
zwei rechtsextremistischen Internet-Angeboten aufgefordert . In diesen Angeboten, die über amerikanische Host-Provider
verbreitet werden, wird zu Hass und Gewalt gegen Juden, Ausländer
und Menschen anderer Herkunft und Rasse aufgerufen. Das friedliche
Zusammenleben aller Menschen in der Bundesrepublik Deutschland wird
in Frage gestellt und bekämpft, indem Vorurteile, Zwietracht, Misstrauen sowie kämpferische Feindschaft gegen Teile der
Bevölkerung propagiert werden. Die nationalsozialistische Rassenideologie wird in diesen
Angeboten zu Propagandazwecken verbreitet, der Holocaust wird
geleugnet oder glorifiziert. Die Geschichte des
nationalsozialistischen Terrorregimes wird umgeschrieben und
gefälscht.
In menschenverachtender Weise werden Nachbildungen von
Zyklon-B-Dosen oder "Seife Marke Auschwitz" zum Kauf angeboten.
Wenn solche Angebote jederzeit im Internet abgerufen werden
können, wird der Eindruck vermittelt, neonazistische Inhalte seien
gesellschaftsfähig.
Es gibt aber keinen allgemeinen Informationsanspruch auf
menschenverachtende Inhalte .
Der in allen Bundesländern geltende, im Jahre 1997 beschlossene
Mediendienste-Staatsvertrag erklärt Angebote, die gegen Strafgesetze
verstoßen, den Krieg verherrlichen, die Menschenrechte verletzen,
geeignet sind Kinder und Jugendliche sittlich schwer zu gefährden,
für unzulässig. Die zwei zu sperrenden Angebote sind unzulässig, weil sie nicht
nur die Menschenwürde verletzen, den Krieg verherrlichen,
jugendgefährdend sind, sondern insbesondere den Tatbestand
Volksverhetzung nach § 130 Strafgesetzbuch erfüllen. In jedem anderen Medium, ob Zeitungen, Zeitschriften, Film,
Fernsehen, Tonträger etc. sind diese Angebote nach den geltenden
Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland unzulässig und verboten. Der Mediendienste-Staatsvertrag verpflichtet die
Aufsichtsbehörden der Länder zur Sperrung oder Untersagung von
unzulässigen Angeboten. Den Behörden wird dabei kein
Ermessensspielraum eingeräumt. Da mehr als 90 Prozent der von
deutschen anonym bleibenden Content-Providern verantworteten
rechtsextremistischen Inhalte über ausländische (insbesondere
amerikanische) Host-Service-Provider im Internet verbreitet werden ,
sieht der Mediendienste-Staatsvertrag als einzig verbleibende Lösung
die Verpflichtung der Access-Provider zur Sperrung vor. Auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Zugangsprovider zu
verzichten, bedeutet nicht nur ihre gesetzlich vorausgesetzte
Mitverantwortung für die Verbreitung dieser Inhalte zu ignorieren. Die staatlichen Aufsichtsbehörden würden darüber hinaus ihren
Verpflichtungen nicht gerecht und müssten sich zu Recht vorwerfen
lassen, das ihnen Mögliche gegen den zunehmenden Rechtsextremismus
im Internet nicht unternommen zu haben. Dass Sperrungen bei den Zugangs-Providern die
rechtsextremistischen Inhalte nicht - wie es wünschenswert wäre -
aus dem Internet verbannen, wussten auch die Gesetzgeber . Trotzdem
ist es sinnvoll, solche Sperrungen vorzusehen, weil dadurch die
Verbreitungslogistik der vernetzten rechtsextremistischen Szene
gestört wird. Die gegenwärtigen Sperrungen beweisen, dass die
rechtsextremistische Szene gezwungen ist, zu reagieren. So sehen
sich die gesperrten rechtsextremistischen Provider zum Teil
gehalten, ihre verbotenen Inhalte auf weitere Seiten - mit einem
anderen Domain -Namen - zu spiegeln.
Technische Anleitungen werden verbreitet, um für die Nutzer durch
Manipulation ihres Rechners die Sperrungen zu umgehen. Nicht zuletzt massive Drohungen gegen Beschäftigte der
Aufsichtsbehörde sprechen dafür, dass die rechtsextremistische
Internetszene getroffen wurde. Wer bei dieser Sachlage Sperrungen deswegen ablehnt, weil sie
keine hundertprozentige Zugangsbehinderung bewirken können, folgt
einer technokratischen Funktionslogik, die die Wirkungen staatlicher
Ge- und Verbote verkennt.
Straßenverkehrszeichen z. B. werden auch nicht deswegen
abgeschafft, weil ihnen oft genug zuwider gehandelt wird. Würden alle Provider in der Bundesrepublik Deutschland die
unzulässigen rechtsextremistischen Angebote sperren, wären diese
faktisch für 70 - 80 Prozent der Nutzer nicht mehr erreichbar. Mit der Vorgabe, rechtsextremistische Inhalte im Internet nicht
zuzulassen, vollzieht der Mediendienste-Staatsvertrag europäisches
Recht. Die in allen EG-Staaten verbindliche E-Commence-Richtlinie
gibt den Gesetzgebungskörperschaften der Mitgliedsstaaten vor , Hass
und Gewalt im Internet zu verbieten (Artikel 3 Absatz 4 a,
1.E-Commerce-Richtlinie des Europäischen Parlaments und Rates vom
08.06.2000). Konkrete Verbote sind auch in Frankreich verhängt worden. So
wurde die Firma Yahoo verurteilt, Auktionen von Nazi-Memorabilien
für französische Nutzer aus ihrem Angebot herauszunehmen (Tribunal
de Grande Instance de Paris, 20.Nov.2000, No. RG 00/05308 ). Ende
Oktober 2001 hat ein französisches Gericht festgestellt, dass die
dortigen Zugangs-Provider materiell zur Sperrung eines
rechtsextremistischen Content- und Service-Providers aus den USA
verpflichtet sind (http://www.heise.de/newsticker/data
/fr-01.11.01-000/) Sperrungen von unzulässigen Internet-Angeboten haben nichts mit
diktatorischen Zensurmaßnahmen zu tun. Sperrungen in einem
Rechtsstaat, wie der Bundesrepublik Deutschland , sind transparent,
nicht diskriminierend und vor allen Dingen anfechtbar und
korrigierbar vor den unabhängigen Verwaltungsgerichten und evtl.
sogar vor dem Bundesverfassungsgericht . Es dürfte Ausdruck einer
Unschärfe im Differenzierungsvermögen mancher Diskussionsteilnehmer
sein, hier Parallelen zu den Diktaturen im Iran oder in China zu
konstruieren. Es ist daran zu erinnern, dass mit Bestehen der Bundesrepublik
Deutschland die Gesetzgebung immer wieder deutlich gemacht hat, dass
strafbare rechtsextremistische Propaganda nicht zur tolerierbaren
Alltagskultur gehört. Insofern gibt es aus historischen Gründen Unterschiede zum
amerikanischen Freiheits - und Verfassungsverständnis. Die
Bundesrepublik Deutschland ist nach dem II. Weltkrieg bewusst in
antifaschistischer Tradition aufgebaut worden. Das Bekenntnis zur
Menschenwürde , das Widerstandsrecht und das Fortgelten der
Vorschriften über die Entnazifizierung sind verfassungsrechtlicher,
zahlreiche spezifische Strafvorschriften repressiver Ausdruck dieser
Tradition. Die Bundesrepublik Deutschland versteht sich als wehrhafte
Demokratie, die den Feinden der Freiheit, der Demokratie und des
Rechtsstaats nicht noch einmal die Möglichkeit einräumen will, durch
den Missbrauch von Freiheitsrechten die freiheitlich demokratische
Grundordnung abzuschaffen. Eine Demokratie ist dem Minderheitenschutz verpflichtet. Bezogen
auf den Rechtsextremismus entsteht dadurch die staatliche Pflicht,
die Aggression zu bekämpfen und mögliche Opfer zu schätzen. Wer
rechtsextremistische Inhalte im Internet zulassen will, duldet
rechtswidrige Taten und liefert ethische und religiöse Minderheiten
der aggressiven neonazistischen Hasspropaganda aus. Der
Rechtsextremismus verschafft sich durch das Internet seinen
gesellschaftlichen Resonanzboden, obwohl es kein on-line-Recht gibt
, das nicht brereits off-line Gültigkeit hat. Ziel staatlicher Regulierung im Internet ist die für alle
sonstigen Medien geltende und bewährte Selbstregulierung. Die an die Allgemeinheit gerichtete Nazipropaganda im Internet in
Form von Schrift , Ton und Bild unterscheidet sich nicht von der
Propaganda in Form von Büchern, Schallplatten und Filmen. Wenn
staatliche Maßnahmen dazu beitragen, dass die Regeln, die im
Zeitschriften -, Buch-, Tonträgerhandel im Rundfunk und Fernsehen
gelten und zumeist eingehalten werden, sich auch im Internet
durchsetzen, dann hat staatliche Ordnungspolitik ihr Ziel erreicht.
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